Rede der Schulleitung

 

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, verehrte Gäste,

 

Sie haben es geschafft! Acht Jahre EGN liegen hinter Ihnen und Ihren Eltern und heute erhalten Sie Ihr Abiturzeugnis. Es ist ein besonderer Tag für Sie, weil Sie ihre Schulzeit abschließen und Sie nun einen weiteren wichtigen Schritt auf Ihrem Lebensweg gehen werden. In den letzten 8 Jahren ist – hoffentlich – eine Basis gelegt worden, auf die Sie nun aufbauen können. Nicht nur eine Basis an Wissen und methodischen Fähigkeiten, sondern hoffentlich auch eine Basis an ethischer Orientierung und Verantwortungsbewusstsein für sich und für andere.

Im Unterricht der Klasse 5 habe ich mir angewöhnt nach jeder Unterrichtseinheit einen Rucksack zu packen, in den die Schüler alles hineinpacken, was sie gelernt haben. Ihr Rucksack müsste nun nach 8 Jahren gut gefüllt sein, so gut, dass wir sie nun allein auf die Wanderschaft schicken können.

In Ihren Rucksack ist nun besonders in den letzten zwei Jahren der Oberstufe viel Neues hinzugefügt worden und Sie haben mit ihrer erfolgreichen Abiturprüfung unter Beweis gestellt, dass Sie mit diesem Wissen hervorragend umgehen können.

In der Abiturprüfung haben Sie viel leisten müssen. Mich ärgert es wirklich, dass man in der Presse häufig liest, dass das Abitur heute leichter geworden sei – manchmal wird es noch drastischer formuliert: das Abitur werde heute den SchülerInnen hinterher geworfen. Ich finde, das ist  ein ungerechter Vorwurf, meist erhoben von Menschen, deren Abitur lange Zeit zurückliegt und die oft genug wenig Einblick haben in die Anforderungen, die die Abiturprüfung heute stellt.

Da ist zum einen der äußere Rahmen: gewiss, anders als in den 1950er und 1960er Jahren wissen Schülerinnen und Schüler bei den mündlichen Prüfungen heute, in welchem Fach sie geprüft werden – früher erfuhr man dies erst, wenn der entsprechende Fachlehrer in den Raum kam und den Schüler zur Prüfung abholte. Eine Vorbereitungszeit gab es nicht. Das war aber bereits bei meinem Abitur 1984, also vor 34 Jahren, anders.

Im Blick auf die schriftlichen Prüfungen haben sich die Rahmenbedingungen aber heute eher verschärft: Waren früher Absprachen im Blick auf zu lernende inhaltliche Schwerpunkte möglich und üblich, so ist dies unter den Bedingungen des Zentralabiturs und erst recht der bundesweiten Aufgaben absolut unmöglich. Im Blick auf den äußeren Rahmen lautet mein Ergebnis deshalb unentschieden, 1:1.

Werfen wir einen Blick auf die Inhalte. Als Vergleichsgröße habe ich ein Gymnasium mit vergleichbarer Schülerzahl einer mittelgroßen Kleinstadt im Jahr 1957 herangezogen und mir die Abiturthemen angesehen:  Im altsprachlichen Zweig spielt das Fach Latein selbstverständlich  eine zentrale Rolle. Auch damals schon wurde auf Cicero zurückgegriffen: der Staatsmann dient nur dem Gemeinwohl, darum ging es bei dem Quellentext. Vokabelhilfen, so wie heute, gab es damals nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Aufgabe selbst unseren Lateinspezialisten schwer gefallen wäre. Aber andererseits gab es auch keine Interpretationsaufgabe, durch die man heute zeigt, dass man den alten Text nicht nur übersetzen kann, sondern ihn inhaltlich und sprachlich verstanden hat und deuten kann.  Im naturwissenschaftlichen Zweig dieses Gymnasiums gibt es im Jahr 1957 nur Physik. Verlangt wird ein Aufsatz: Das periodische System der Elemente und der Aufbau der Atome. Einige von Ihnen wären, da bin ich mir sicher,  mit diesem Thema besser gefahren als mit den hochkomplexen und hochkomplizierten Aufgaben des Physik-Abiturs 2018.  Die Aufgaben im Fach Deutsch – ebenfalls aus dem Jahr 1957 – wirken wie Besinnungs- ja, teilweise wie Gesinnungsaufsätze, wenn es z.B. als Aufgabe heißt: „Was können Sie persönlich tun, um dem Kommunismus Einhalt zu gebieten? (Ein Abiturient aus Westdeutschland unterhält sich mündlich oder schriftlich mit einem ostdeutschen Primaner über dieses Thema). Am deutlichsten ist für mich der Unterschied in den modernen Fremdsprachen: Wie Sie wissen, besteht heute die Fremdsprachenprüfung in Niedersachsen aus 3 Teilen: Da ist zum einen das Hörverstehen, in der die Prüflinge 60 Minuten einem von Muttersprachlern gesprochenen Dialog oder einer Reportage folgen müssen und dabei Fragen beantworten müssen. Ich gebe es zu: ich hatte selbst Französisch als Leistungskurs – im diesjährigen Abitur hätte ich kaum einen Satz verstanden.

Zum anderen muss ein deutscher Text (oft eine Quelle aus einer Zeitung) in ein angemessenes Französisch (oder Englisch) übertragen werden und schließlich – und das ist ein klassischer Bestandteil – eine, meist literarische, Quelle analysiert werden. Auch hier wieder als Kostprobe der Vergleich mit 1957. Dort lautete die Aufgabe im Fach Französisch: Le nouveau-ne (Dictée – Reproduction), also Diktat und Inhaltsangabe. Ob eine solche Aufgabe wirklich ermittelt hat, welche Sprachkompetenz ein Schüler hat, wage ich zu bezweifeln. Kurzum: je genauer man hinschaut, desto weniger lässt sich die These halten, dass das Abitur leichter geworden sei. Das ist ein viel zu pauschales Urteil, das nicht richtiger dadurch wird, dass man es in den Medien immer und immer wieder verbreitet. Es ist ja nicht nur unfair gegenüber den jungen Menschen. Ich frage mich auch, was es über eine Gesellschaft sagt, wenn sie den Hoffnungsträgern von Morgen die Leistungsfähigkeit von heute abspricht.

Ich jedenfalls bin davon überzeugt, dass Sie sich anspruchsvollen Aufgaben ausgesetzt haben und die Ergebnisse zeigen, dass Sie dabei sehr erfolgreich waren. Zugelassen zur Abiturprüfung waren 65 Schülerinnen und Schüler, eine Schülerin hat freiwillig die Prüfung nicht angetreten, sondern mit bestandener Fachhochschulreife die Schule verlassen. Von den 64 SchülerInnen, die die Prüfung angetreten haben, haben 63 die Prüfung bestanden. Ein Schüler verlässt die Schule mit der Fachhochschulreife. Von den 63 SchülerInnen haben 15 Schüler einen Schnitt unter 2,0, das sind 24% des Jahrgangs. Unter ihnen ragen drei Zeugnisse noch einmal besonders heraus: Isabel Imhorst hat einen Durchschnitt von 1,1; Sabrina Berends und Rahel Babic haben – fast punktgleich  - einen Schnitt von 1,2. Diese besonderen Leistungen verdienen besondere Anerkennung.

Auch hier halte ich den medial immer wieder erhobenen Vorwurf, die Zensuren seien zu gut, nicht für zielführend: Es wertet ja nicht nur die Leistungen der Schülerinnen und Schüler ab, sondern auch das Urteilsvermögen der heutigen Lehrergeneration. Ich bin mir nicht sicher, ob jeder weiß, dass jede Abiturarbeit durch vier Hände gehen muss: die des Prüfers, des Korreferenten, des Fachprüfungsleiters und schließlich durch meine.  Das sind bei 64 Schülern und vier schriftlichen Arbeiten 1064 Prüfdurchgänge. Es mag zwischen den vier Prüfern zuweilen Differenzen um den einen oder anderen Notenpunkt geben, seltener schon um eine ganze Notenstufe. Dann wird diskutiert, manchmal auch gestritten, zuweilen auch leidenschaftlich, aber geschenkt wird hier niemanden etwas. Ich kann hier nur mit großer Dankbarkeit auf mein Kollegium blicken: ich danke Ihnen für Ihre sorgfältige und gewissenhafte Arbeit, für die vielen Wochenendstunden und die ein und die andere Nachtschicht. Jeder, der schon einmal an einem Abitur beteiligt war, weiß, wie viel Arbeit diese Zeit bereitet. Und daneben muss der normale Schul- und Unterrichtsbetrieb ja weiterlaufen. Es ist aber nicht nur die zeitliche Mehrarbeit, sondern auch die qualitativ höchst anspruchsvolle Arbeit, die ein Lehrer/eine Lehrerin im Abitur zu leisten hat. Mir haben Kolleginnen und Kollegen berichtet, dass sie für eine Arbeit fünf bis sechs Stunden gebraucht haben. Dieser Zeitaufwand lässt sich vielleicht bei mehr Routine etwas reduzieren, aber weniger als 3 Stunden pro Klausur ist nach meiner Erfahrung nicht denkbar. Wenn dann ein Kollege, wie in diesem Jahr z.B. der Kollege Rexilius, der für eine Kollegin in Erziehungszeit eingesprungen ist, fast 40 Klausuren beackern muss, dann sind das bei einem Durchschnittswert von 4 Stunden pro Arbeit 160 Arbeitsstunden. Darum an dieser Stelle noch einmal ein ganz großes Danke an das Kollegium.

Ohne gute Organisation käme es aber gar nicht erst zu einem guten Ergebnis: Darum möchte ich an dieser Stelle meinen Kollegen Steffen Dreier und Jutta Rieks, die in diesem Jahr zusammen mit mir die Prüfungskommission gebildet haben, besonders danken. Stunde um Stunde haben wir im dunklen Verließ gestanden, um die Arbeiten zu vervielfältigen, Prüfungsmappen anzulegen, Prüfungspläne zu erarbeiten. Es hat uns sehr gefreut, dass Sie, die Abiturientinnen und Abiturienten, von den Schwierigkeiten des Matheabiturs, zunächst nichts mitbekommen haben. Die Prüfungskommission musste in diesem Jahr mehr schultern, da Herr Gastler und Frau Dust mit ihrer vielfältigen Expertise als Eltern in diesem Jahr am Prüfungsgeschehen nicht beteiligt waren. Im Vorfeld und jetzt bei der Vorbereitung der Abiturfeier und der Nachbereitung des Abiturs habt ihr uns aber engagiert unterstützt. Auch dafür: Danke! Unsere Hausmeister und unser Schulassistent haben ein ums andere Mal Tische geschleppt, Stellwände aufgestellt und so dafür gesorgt, dass Sie in Ruhe arbeiten konnten. Danke, liebe Frau Oltrup, Herr Teuber und Herr Schröer.

Noch einmal zurück zu den Leistungen im Abitur: In diesem Jahrgang haben alle Schülerinnen und Schüler, die ursprünglich keine Empfehlung für den Besuch eines Gymnasiums hatten, sondern mit einer Realschulempfehlung auf dem EGN aufgenommen worden sind bzw. von der Realschule zu uns gewechselt sind, die Abiturprüfung bestanden. Zwei davon mit einem Notenschnitt unter 2,0. Was wäre gewesen, wenn diese Schüler nicht in Niedersachsen, sondern z.B. in Bayern zur Schule gegangen wären, und sie das Gymnasium nicht hätten besuchen dürfen. Selbstverständlich hätten diese Schülerinnen und Schüler auch über Umwege das Abitur erreichen können, aber den direkten Weg zum Abitur hätte man ihnen versperrt. Mich macht dieses Ergebnis einmal mehr skeptisch gegenüber prognostischen Aussagen nach Klasse 4 oder auch Klasse 6. Viel zu viel entwickelt sich im Laufe des Schullebens und wir sollten meines Erachtens sehr vorsichtig sein mit Aussagen darüber, welche Kinder auf’s Gymnasium gehören und welche nicht.

Und schließlich: wir haben eine Schülerin in diesem Abiturjahrgang, die meines Erachtens die größte Leistung vollbracht hat. Elisa, Sie sind mit Ihrer Erkrankung immer offen umgegangen und nur darum wage ich es, dies auch hier anzusprechen: Zwischen und im Anschluss an Chemotherapien, wirklich zwischen Leben und Tod haben Sie sich auf das Abitur vorbereitet. Wer Ihren Blog verfolgt hat, weiß wie wichtig Ihnen das war, wie sehr Sie aber auch immer wieder gezweifelt haben, ob Sie es gesundheitlich, aber auch inhaltlich schaffen können oder nicht. Ihre Eltern, Ihr Freund, Ihre Familie, Ihre Freunde haben Sie in dieser Zeit umfassend unterstützt, aber geschafft haben Sie es. Sie können unglaublich stolz auf sich sein und wir alle freuen uns ganz besonders mit Ihnen.

Und nun haben Sie es gleich alle in den Händen: ihr Abiturzeugnis. Sie haben damit den höchsten deutschen schulischen Bildungsabschluss erworben. Vieles davon haben Sie sich selbst verdient, Vieles davon ist aber auch nur möglich geworden, weil Sie unterstützt worden sind, in erster Linie von Ihren Eltern, denen an dieser Stelle ebenfalls ausdrücklich zu danken ist. Ohne Sie, liebe Eltern, wären Ihre Kinder nicht da, wo sie jetzt sind. Sie müssen sie jetzt loslassen, denn ab-ire heißt ja auch weggehen und das lateinische Wort abiturus bezeichnet „einen, der im Begriff ist wegzugehen“. Sie bleiben Wegbegleiter, aber wohl mehr und mehr aus der Ferne und während das einigen von Ihnen vielleicht in der Pubertätszeit ein tröstlicher Gedanke war, wird jetzt vielleicht dem einen oder anderen schwer ums Herz. Aber sie kommen ja wieder -  die Kinder - und sie bleiben die Kinder – und es ist allemal ein Grund zur Freude, die erwachsenen Kinder wieder im Haus zu begrüßen. 

Sie, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, sind aber nicht nur durch Eltern und Lehrer unterstützt worden, sondern sie haben Gaben, die andere nicht haben: sei es durch die Genetik bedingt, sei es auch nur dadurch, dass Sie hier in einem der reichsten Länder der Welt geboren worden sind. Das sind unverdiente Privilegien. Auch 2018, ein Jahr nach den Reformationsfeierlichkeiten, ist es hin und wieder sinnvoll Martin Luther zu zitieren: „Was nicht im Dienst steht, steht im Raub“ – so sagt er in einer Predigt im Jahr 1523. Diese Aussage hat an Aktualität nichts verloren.

Setzen Sie Ihre Fähigkeiten nicht nur für sich selber ein, schon gar nicht nur dafür, möglichst viel Geld zu scheffeln oder Titel anzuhäufen. Nutzen Sie das Privileg Ihrer Bildung für den Dienst am Nächsten, für den, der schwach ist und dem niemand beisteht. Dazu wird es Zivilcourage brauchen. Haben Sie Mut, sich auch gegen vermeintlich Stärkere durchzusetzen. Setzen Sie sich der Verrohrung unserer Gesellschaft entgegen. Lachen Sie nicht mit, wenn alle lachen. Halten Sie der Dummheit stand. Ich hoffe, dass wir Ihnen dafür genug an ethischen Wertmaßstäben und christlicher Überzeugung mit in den Rucksack gepackt haben. Jetzt müssen sie damit weggehen. Kommen Sie wieder, nicht nur zum Baumumgang, sondern auch einfach so und erzählen Sie uns von Ihren Erfahrungen. Wir lernen jetzt gerne von Ihnen!

Ansprechpartner

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Dr. Gabriele Obst
Tel.: 05921 30830-0
Fax: 05921 30830-20