Rede der Abiturienten II

Liebe Abiturientinnen, liebe Abiturienten,

93 Tage sind schon seit unserem letzten Schultag vergangen. 93 Tage sind es her, als wir zuletzt zusammen in den Kursen saßen und uns gegenseitig Stress über die bevorstehenden Abiturprüfungen gemacht haben. Für die einen schlaflose Nächte wegen der Lernsessions für die Abiturklausuren, für die anderen schlaflose Nächte wegen der natürlich alkoholfreien Partys im Index oder im Abacco, letzteres auch gerne ein Aufenthaltsort für einige unsere jungen Lehrer. (an dieser Stelle, Liebe Grüße an Herrn Weigel, Herrn Nixdorf, Herrn Hassink und Herrn Finke).

Doch all dieser Stress wegen der Abiturprüfungen, die geflossenen Tränen, die Angst, durch das Abitur gerasselt zu sein, das schlechte Gewissen während man faul im Bett lag anstatt zu lernen, all das ist nun endlich vorbei. Ein Hoch auf uns! (Confetti-Kanone)

Die Schulzeit hat uns alle geprägt, uns zu dem Menschen gemacht, der wir heute sind. Zeit für uns, um alle zusammen innezuhalten, zurück zu blicken, und diese Schulzeit gemeinsam Revue passieren zu lassen.

Angefangen mit der 5. Klasse: Wir waren bisher der einzige Jahrgang, der aus insgesamt vier Klassen besteht.

Die A war natürlich die Vorzeigeklasse, jeder Lehrer mochte die A und jeder Schüler wollte Teil der isolierten, unantastbaren A-Klasse sein. Doch dieses unschuldige Bild täuscht. Systematisch und zielgerichtet wurden Mama’s liebevoll geschnittenen Apfelstücke in den Pausen aus dem zweiten Stock auf Passanten geworfen, die unten unschuldig und ahnungslos liefen. Es war eine lustige Pausenunterhaltung, die endete, als die Apfelstücke auch durch die Klasse flogen und beinahe Herrn Arends trafen. Sie können sich seine Reaktion wohl selber ausmalen.

Die B war die Musikerklasse, die Klasse mit der höchsten Frauenquote. Es waren aber keine braven Flöte-spielende Mädchen. Es waren die teuflischsten Mädchen, die die fiesesten Lehrerstreiche gespielt haben. Die Lehrer wurden herausgeekelt und fürchteten sich vor der B. In der Klasse wurden Gurkenscheiben an die Fenster geschmissen, die Schrauben des Lehrerstuhls wurden herausgeschraubt und später wurden die neuen, bunten Schließfächerschränke vor Klassentüren geschoben. Weitere raffinierte Streiche werden hier aus Jugendschutzgründen weggelassen.

Ja, die C war die coole, Chaoten-Klasse, die in allen Dingen weiter war als die anderen Klassen (Pause/Zwinker). Zickenkriege, Fenstersprünge um ein Mädchen zu beeindrucken und Klassenkonferenzen wurden einberufen. Alles an einem einzigen Schultag. Sämtliche Mathelehrer wurden einen nach dem anderen herausgemobbt und ein Chaot musste später sogar in die B wechseln. Kurz und knapp: Einfach asozial!

Die D unter der früheren Leitung von Frau Lehker, die wie fast alle Lehrerinnen schwanger wurde und letzten Endes die Schule verließen, war die Klasse mit der besten Gemeinschaft, gestärkt durch das gemeinsame Mobben.

Tägliche Zickereien über die scheinbar nachgekauften Kleidungsstücke, beste Freundinnen-Konstellationen wurden wie Socken gewechselt, aber auch Liebesbriefe wurden geschrieben und Liebesgeständnisse gemacht. All das blieb jedoch immer klassenintern.

Doch was uns alle zusammen verband war die Katz-und-Maus-Jagd der Fluraufsicht (i.d.R. Herr Krollberwe) mit uns Schülern, als wir noch die Verpflichtung hatten, draußen unsere Schulbrote essen zu müssen. Diese amüsante Pausenunterhaltung kennen die jetzigen 5er gar nicht mehr! Ja, wir waren die Versuchskaninchen, die Laborratten des EGNs. Morgendliches Beten hatte nicht geklappt – Wöchentliche Andachten hießen irgendwann 20min länger schlafen – Ermahnungen halfen irgendwann auch nicht mehr.

Man sieht, jede einzelne Klasse hatte seine eigenen Merkmale, die sie einzigartig gemacht und den Klassenzusammenhalt gestärkt haben.

Wir alle kamen aus unterschiedlichen Klassen und Gruppenkonstellationen, als wir dann in die 10. Klasse, in die Oberstufe mit den gemischten Kursen zusammentrafen.

Als die Kurslisten aushingen, paar Tage bevor die 10. Klasse anfing, da wurden insgesamt 150 Bilder von den Kurslisten in die WhatsApp-GABI 16-Gruppe geschickt.

Um ehrlich zu sein, hat die Umstellung von Klassen auf Kurse uns als Jahrgang erst zu einem richtigen einheitlichen Jahrgang gemacht. Dadurch haben wir uns besser kennenlernen können, bisherige Gruppenkonstellationen wurden neu zusammengewürfelt und Mitschüler, mit denen man zuvor nie ein Wort gewechselt hatte, wurden plötzlich die besten Freunde.

Und um diesen Zusammenhalt noch weiter zu stärken, hat sich die Schulleitung zusammengesetzt und gedacht: „Wir fahren nach Ahlhorn! Ankommen, wo die Seele atmet.“ (gemeinsam euphorisch sagen). Nach fünf gemeinsamen Jahren am EGN waren Kennlernspiele, Vertrauensspiele im Kletterseilgarten und an spinnennetzartigen Konstruktionen, und das Balancieren mit 20 Personen auf einer Wippe über Baumstämme zwingend notwendig und fast schon zu spät.

Noch nie hat jemand vom Ort „Ahlhorn“ gehört, Sie wahrscheinlich auch genauso wenig wie wir damals. Lassen Sie uns diesen Ort kurz und prägnant für Sie beschreiben: Wald, Bäume und einwandfreies mobiles LTE Netz. Sie hätten die Reaktionen im Bus sehen sollen.

Nach den psychologischen Spielen am Morgen folgten die eigens ausgedachten psychologischen Spielchen am Abend am Lagerfeuer. Ständig wurde gefragt: „Wohin geht der rote Ball?“. Legenden sagen, noch immer weiß kein Lehrer wohin der rote Ball geht. Wir lösen es nun für euch: Der rote Ball geht auf die Nerven. Unzwar gewaltig.

In der 10. Klasse waren wir die respektierten Oberstufenschüler, die Großen. In der 10.Klasse wurde fast jeder Schüler von den Lehrern gesiezt, so wollten es die meisten von uns. Endlich das Gefühl haben mit den Lehrern auf der gleichen Stufe zu stehen.

Mit dem Gefühl der Gleichberechtigung, Ernstzunahme und dem Erwachsenseins wurden die Mappen gegen Ordner, die Füller gegen Kugelschreiber, Mama’s Stulle gegen die Schlemmerbrötchen und die Jeans gegen die Jogginghose getauscht. Vollgepackte Etuis wurden mit dem Verlauf der 10.Klasse immer leerer und die Köpfe immer voller... Naja, bei den meisten.

In der 11. Klasse angekommen, bemerkte manch einer auch schon den Ernst der Lage: Qualifikationsphase. Das Abitur. Sätze wie „This is important for your Abitur!“ und „Das müsst ihr fürs Abi können!“ wurden pro Stunde mindestens drei Mal wiederholt. Statt Noten gab es Punkte, statt rechteckige Schultische gab es puzzleartige, pädagogische Tische.

Neu für uns alle war die Facharbeit. Eine eigenständig verfasste, wissenschaftliche Arbeit, die jeder verfassen musste. Die Themenwahl reichte vom irischen Whisky über die Beatles bis hin zur Wegberechnung der Londoner U-Bahn mit Anwendung in der Informatik. Der ideale Zeitplan sieht für das Verfassen der Facharbeit ungefähr 8 Wochen, also 55 Tage vor. Der realistische Beginn der Bearbeitung war nur wenige Tage vor der Abgabe oder in meinem Fall -- ein Abend davor.

Neben dem späteren Arbeitspensum in der Abiturphase war das nicht allzu viel verlangt, aber der Grad an Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit war dann doch ein wenig höher als erwartet: „Welchen Zeilenabstand muss ich nochmal verwenden?“ und „Wie füge ich Fußzeilen hinzu?“ und sowieso „Wie zitiere ich nochmal?“.

Doch auch das haben wir geschafft. Gegen Ende der 11. Klasse wurden die Facharbeiten alle rechtzeitig abgegeben. Zur Krönung der 11. Klasse kam dann die Ankündigung eines Stufenbabys: Martha! Kims und Lennarts Tochter.

Wer kann schon von seinem Jahrgang behaupten, es hatte ein Stufenbaby und die Mutter und der Vater haben erfolgreich das Abitur bestanden?

12. Klasse: Die Eifrigen fingen schon an für das Abitur zu lernen, die anderen versuchten überhaupt zum Abitur zugelassen zu werden. Einige Niederlagen und Tiefschläge wurden schon verdaut und weitere würden noch folgen. Wir waren die alten Hasen auf dem Gebiet, hatten schon innige Beziehungen zu den Lehrern aufgebaut, und waren es schon gewohnt, dass die Räume nach Ottemann’s heiße Kiste rochen, der Mund des Mitschülers nach der Gyrostasche von Adonis und dass die geliebte Schulklingel für immer fort war. Die Luft war raus. Die Lehrer verzweifelten genauso sehr an unserer Motivation wie an den Smartboards im Hause. Aber Herr Schroer war ja zum Glück immer da.

Doch das bloße vor sich Hinvegetieren hatte mit der bevorstehenden gemeinsamen alkoholfreien Studienfahrt ein Ende. Es ging in jeweils unterschiedlichen Gruppen nach Venedig, London, Rom und München. Es wurden Selfies am Kolosseum in Rom, am Buckingham Palace in London, am Steg in Venedig oder Selfies mit dem Maßkrug in München gemacht.

Mit der fortschreitenden Annäherung an das Ende der 12. Klasse und des letzten Schultages, rückte immer mehr das Abitur heran. Das Kopienkontingent der Lehrer wurde ausgeschöpft und mehrfach überschritten, Panik wurde geschoben und Angst geschürt.

Das Beruhigende dabei war immer: Man machte das Abitur nicht alleine. Wir lernten zusammen in Lerngruppen, wir fragten einander Karteikarten ab, besprachen Fragestellungen und Methoden, wir tauschten Lernzettel aus, ob selbstgeschrieben oder nachts vorher zugeschickt bekommen. Manche haben schon im November angefangen. Hanna, wir hätten gerne deinen Ehrgeiz. Wir bestärkten einander durch Erzählen und Zuhören. Mit einer flasche Bier. Nachts um Elf. Im Domspatz.

Die Mottowoche zur Einleitung der letzten Schulwoche verdeutlichte noch einmal, wie viel Spaß und Freude wir in den letzten Jahren gemeinsam hatten. Da soll mal ein Jahrgang unsere Mottowoche toppen.

Machen Sie sich auf den Chaostag gefasst. Danach wird kein Jahrgang mehr ein Chaostag veranstalten dürfen.

Wir haben als Jahrgang super funktioniert, das haben die Stufenpartys und die Aktionen für die Finanzierung unseres Abis, vor allem für unseren Abiball, gezeigt. Wir mussten schließlich nicht 15€-Tanzkurse anbieten, um Geld für unser Abi einzutreiben.

Übrigens: Jetzt, gerade in diesem Moment wird in der alten Weberei auch eine Rede gehalten von Schülern, die es nicht auf das EGN geschafft haben. Sie ahnen es schon, es ist die Klaus-Ernst-Schule in Wuppertal.

An dieser Stelle möchten wir unsere kleine Schulevolution zu Ende kommen lassen. Wir hoffen, es hat Ihnen und Euch unsere kleine Reise ein wenig Gefallen und ihr habt eure eigene Schulevolution in einigen Momenten wiederfinden können.

Wir möchten Euch noch einmal daran erinnern, dass wir nun unsere eigenen Wege gehen werden und diese Seifenblase verlassen, in der alles ging. Einige gehen als Au Pair ins Ausland, oder machen Work&Travel, oder nur Travel, andere machen ein freiwilliges soziales Jahr, fangen eine Ausbildung an oder gehen direkt studieren. Wir haben hier ihre besten Freunde und Freundinnen gefunden, und werden die Schulzeit definitiv vermissen.

Wir alle haben gemeinsam diese anfänglich noch kleine Schule aufgebaut und möchten unseren herzlichen Dank an die Lehrerinnen und Lehrer aussprechen, die mit uns zusammen diese Schule aufgebaut haben. Herzlichen Dank an Frau Rieks, Herrn Schönrock und Herrn Hann, die seit Tag 1 dabei sind.

Diese Schule hat uns einen Kerngedanken gezeigt: „Wenn ich will, kann ich alles schaffen.“

Wer weiß, vielleicht kehren einige von uns als Lehrerin oder Lehrer an diese Schule zurück, vielleicht mit der Kombo Sport und Geschichte und chillen jeden Tag mit der Jogginghose in der Schule und nennen die Schüler „Kinder“. Vielleicht kehren wir auch gemeinsam zum traditionellen Baumrundgang kurz vor Weihnachten wieder an die Schule zurück, denn wir werden immer Teil der EGN-Familie bleiben.

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, die Schulzeit ist nun vorbei. Um neue Ufer zu erreichen, müssen wir alte Häfen verlassen. Daher sind wir hierher gekommen, um auseinanderzugehen, um weiterzugehen. Also raus mit euch, wir sind jetzt Abiturientinnen und Abiturienten. Lasst uns neue Herausforderungen suchen und uns einsetzen, für das, was wir am EGN gelernt haben. Für das, was wir an dieser kleinen Schule mit den vielen Möglichkeiten geworden sind.

Wir wünschen euch dabei Alles Gute! Vielen Dank!