Rede der Schulleitung

Rede von Frau Dr. Obst

Verehrte Gäste, liebe Abiturientinnen und Abiturienten,

der zweite Abiturjahrgang verlässt das EGN. In eurer außerordentlich ansprechenden Abi-Zeitschrift sprecht ihr an mehrerer Stellen liebevoll vom EGN als „Familie“ – erlaubt mir darum, dass ich dieses Bild aufgreife: Ihr seid unser zweites Baby oder etwas vornehmer ausgedrückt: dem Schicksal der Zweitgeborenen konntet ihr hier am EGN nicht entrinnen.

Geschwisterkonstellationen prägen – das weiß jeder der Geschwister hat – ein Leben lang. Das Verhältnis zwischen ersten und zweiten Kind scheint schon immer die Menschen beschäftigt zu haben: Die Eifersuchtsgeschichte zwischen Kain und Abel, Ismael und Isaak, Jakob und Esau und nicht zuletzt zwischen den beiden Brüdern aus dem Gleichnis, das wir eben im Gottesdienst gehört haben - die ewige Konkurrenz zwischen Brüdern durchzieht nicht nur die biblische Geschichte. Wir finden sie auch wieder in dem Streit zwischen den beiden Brüdern Karl und Franz in Schillers Räubern, in der Konkurrenz von Heinrich und Thomas Mann und und und – Beispiele für die schwierige Beziehung zwischen Erst- und Zweitgeborenen gibt es viele.

Es gibt mehr oder weniger berühmte Zweitgeborene – ich nenne beispielhaft Johannes Calvin, Ludwig van Beethoven oder ganz gegenwärtig und völlig unpassend in dieser Reihe – ich weiß – und dann noch ein Bayern-Spieler: Manuel Neuer. Auch einige unserer KollegInnen sind Zweitgeborene (Bild einblenden): Sandra Holbein, Angelika Forstreuter, Elias Hoffmann, Nikola Hagen, Simon Woltmann, Norbert Ricking, Anika Pelster, Ingrid Sils, Maren Dreier, Jutta Rieks.

Ich habe bei der Zusammenstellung selbstverständlich sofort darüber angefangen nachzudenken, ob und was diese KollegInnen möglicherweise gemeinsam haben – der Küchenpsychologie ist Tür und Tor geöffnet.

A propos Psychologie: Die Geschwisterforschung ist selbstverständlich ein zentrales Thema. Neben seriösen Studien gibt es eine beinahe unübersichtliche Zahl von Ratgeberliteratur. Diese mehr oder weniger ernstzunehmenden Einschätzungen, Tipps und Ratschläge sind die Grundlage meiner Betrachtung Eures Jahrgangs.

 

1. Zweitgeborene werden ständig verglichen – jeder, der ältere Geschwister hat, kennt das: „In deinem Alter konnte Hanna schon dies...“Mit Nele hatten wir nie diese Probleme bei den Hausaufgaben“

Und vermutlich habt ihr es ja auch von uns dann und wann in der Schule gehört: „Also im letzten Jahr waren wir aber schon viel weiter“, „die Schüler in dem Jahrgang über euch waren aber viel braver – auch in der Pubertät“. Besser, schneller, braver – und euch wird dieser Vergleich vermutlich ziemlich genervt haben. Gut, dass ihr wenigstens ein Jahr lang ohne den ersten Jahrgang die ‚Großen’ sein konntet.

Besonders im letzten Jahr habt ihr euch freigeschwommen und seid aus dem Schatten des ersten Jahrgangs hervorgetreten. Nicht nur eure Abiturleistungen zeigen, wozu ihr in der Lage seid, aber diese eben ganz besonders: von den 56 Schülern des Jahrgangs sind 55 zum Abitur zugelassen worden. 52 Schüler haben die Abiturprüfung bestanden, eine Schülerin muss aus Krankheitsgründen eine Klausur noch nachschreiben, zwei verlassen das EGN mit der "Fachhochschulreife“. Von den 52 Schülern, die heute ihr Abiturzeugnis erhalten, haben 10 Schüler einen Schnitt mit einer 1 vor dem Komma. 60% haben ein Schnitt unter 3,0. Das beste Abitur hat Jan-Hendrik Veltmaat mit dem Superschnitt von 1,1. Ganz besonders möchte ich die Leistungen derjenigen hervorheben, die erst im Laufe der Zeit zum EGN gewechselt sind: Alle ehemaligen Realschüler erhalten heute ihr Abiturzeugnis. Das freut mich ganz besonders, da es zeigt, dass Realschüler sehr gute Erfolge an allgemeinbildenden Gymnasien erzielen können.

 

2. "Zweitgeborene sind Kämpfernaturen" - immer müssen sie sich gegen den großen Bruder, die große Schwester durchsetzten. Kämpfernaturen – das seid auch ihr: Einigen von euch ist das Lernen und das Abitur wirklich nicht zugefallen. Nicht wenige von euch mussten sich neben der Schule noch ganz anderen, menschlichen und sozialen Herausforderungen stellen und haben trotzdem das Abitur geschafft. Wer wissen will, wie Erlösung aussieht, der muss einmal bei einer Notenverkündigung am Ende des Abiturs dabei sein: viele von euch haben, obwohl wir ihnen gerade das gute Ergebnis verkündet hatten, geweint, weil sie über Jahre hart gekämpft haben. Kämpfen ja, aber nicht rücksichtslos alles tun, nur um Macht und Geld zu gewinnen - darin unterscheidet ihr euch hoffentlich auch in der Zukunft von den 'Zweitgeborenen', der berittenen Söldnertruppe in Games of Throne, denen es nur um den eigenen Vorteil geht. Von solchen Typen hat unsere Gesellschaft ohnehin schon mehr als genug.

 

3. "Zweitgeborene sind gute Diplomaten" - das haben wir bei der Vorbereitung eurer Abiturfeier gemerkt. Ihr seid in der Lage, Kompromisse auszuhandeln, Konflikte schon im Vorfeld zu entschärfen und an das Wohl aller zu denken. Mottotage, Gottesdienstvorbereitung, Abiball, Abizeitung und nicht zuletzt der Chaostag - super vorbereitet und umsichtig durchgeführt. Davor kann es ich nur den Hut ziehen. Ward ihr zu brav? Vielleicht sogar angepasst? Das kann man, wenn man euch kennt, wirklich nicht sagen. Viele von euch sind sehr individuell und legen auf ihre individuelle Note größten Wert - nicht nur, was die Zahl der Schuhe oder die Farbe der Haare angeht. Ihr seid durchaus für Überraschungen gut! Aber ihr habt in den letzten Jahren auch viel Sozialkompetenz unter Beweis gestellt. In Auseinandersetzung mit Krankheit und Tod habt ihr Mitgefühl gezeigt und Solidarität bewiesen, die mich sehr beeindruckt haben. Zweitgeborene fallen – so heißt es in einem Artikel – als Erwachsene durch einen „angenehmen indirekten Führungsstil“ auf. Das aber brauchen wir auch in der Zukunft in unserer Gesellschaft: in der Kirche, den Schulen und Universitäten, in der Industrie und auch in der Politik.

 

4. Zweitgeborene bekommen alles immer nur vererbt – Hosen, Fahrräder, Spielzeug. Und bei uns am EGN:

Das sozial-diakonische Praktikum, die Oberstufenkurse in der 10, das duale Studien- und Berufspraktikum, Abschaffung des Klingelzeichens. Nie war etwas bei euch ganz neu und nur für euch ‚erfunden’ – selbst die Einführung des 80 Minuten-Taktes werdet ihr nicht mehr erleben.

Andererseits: beim zweiten Kind sind alle gelassener und Zweitgeborene profitieren vom Verhandlungsgeschick der Erstgeborenen: wie viel Taschengeld gibt es? Wann muss man abends nach Hause kommen?

Manches, was uns im ersten Jahrgang noch schlaflose Nächte bereitet hat, konnten wir – zumindest innerlich – mit größerer Gelassenheit ertragen: Pubertät ist zwar nie schön, aber beim zweiten Mal doch leichter zu ertragen - selbst abgeschossene Lampen und die Jungen aus der 8c konnten uns nicht vollständig aus der Fassung bringen (auch wenn es euch manchmal so schien...).

 

5. „Zweitgeborene kämpfen um die Aufmerksamkeit der Eltern“ – leider kann man sich als jüngeres Kind oft nicht so gut bemerkbar machen wie als älteres. Die Lösung: schreien und brüllen. Vielleicht habt ihr manchmal das Gefühl gehabt, dass ihr am EGN zu wenig beachtet worden seid, weil sich alles immer um die Großen drehte. Aber ihr könnt euch sicher sein: eure Eltern standen immer auf eurer Seite. Wie Löwenmütter und Tigerväter haben sie für euch, aber auch für eine gute Schule gekämpft0 sei es auf Elternabenden, im Schulelternrat oder im Schulvorstand. Ich danke Ihnen an dieser Stelle herzlich für Ihr Engagement für Ihre Kinder und darüber hinaus für diese Schule. Besonders in den Anfangsjahren mussten Sie einiges mit- und durchmachen. Dass sie das EGN weiterhin mit Rat und Tat unterstützt haben, das ist keineswegs selbstverständlich und dafür danke ich Ihnen von ganzem Herzen.

Ich hoffe, ihr Schüler habt v.a. in den letzten Monaten gespürt, dass ihr unsere volle Aufmerksamkeit hattet. Ich kann als Schulleiterin und Chefin dieses Kollegiums nur sagen: dieses Kollegium, jeder einzelne Lehrer hat für euch alles gegeben und uns lag ganz viel daran, euch zu und dann durch dieses Abitur zu bringen. Außenstehende können kaum ermessen, wie viel Arbeit das Abitur für jeden Lehrer bedeutet – 8 Augen lesen jede Klausur und jeden Kommentar. Vier Personen überprüfen jede mündliche Prüfung. Neben der anstrengenden Korrekturarbeit belastet aber auch die psychische Anspannung: Einige Kollege und auch ich als Schulleiterin haben vor manchen mündlichen Prüfungen mindestens genauso gezittert wie die Prüflingen selbst. Darum möchte ich an dieser Stelle, den Kolleginnen und Kollegen ganz ganz herzlich danken: Auch ihr habt dieses Abitur großartig gemeistert. Im Hintergrund haben einige für den reibungslosen Ablauf gesorgt: Herr Dreier und Herr Gastler, die mit mir die Prüfungskommission gebildet haben, unsere Sekretärinnen und besonders Frau Imhorst, die alles perfekt vor- und nachbereitet hat und schließlich unsere Hausmeister, die eine unendliche Zahl von Stühlen und Tischen gerückt haben. Ich hoffe, dass ihr nach dem Abitur und dieser Abiturfeier nicht mehr das Gefühl habt, zu wenig Aufmerksamkeit bekommen zu haben.

 

6. "Zweitgeborene sind Lebenskünstler" - das passt eigentlich ganz gut zu euch. Ihr wusstet auch während der Abiturzeit und der Qualifikationsphase zu leben - und zu feiern. Whats Abi - was ist schon das Abitur? Euer Motto kann man ja auch so verstehen: ja, das Abitur ist wichtig, aber es ist auch nicht alles oder um es mit Max Westenberg zu sagen: "ein gutes Pferd springt nicht höher als es springen muss". Der Druck unterschiedlicher Anforderungen durch Studium, Beruf und Familie wird sicher in den nächsten Jahren kontinuierlich steigen, wenn ihr den Schonraum Schule verlasst. Behaltet eure Lebensfreude und eure Lebenskunst - das Leben ist schon schwer genug!

Und vergesst nicht: ihr bleibt immer unsere Kleinen! Wir werden euch nicht vergessen und freuen uns euch wieder zu sehen – spätestens beim nächsten Baumumgang.

Ansprechpartner

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Dr. Gabriele Obst
Fax: 05921 30830-20